ÜBUNG (n. f.)
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Wir wollen dieses Orts nicht gedencken von der sinnreichen Erfindungen/noch von den Farben/Liecht und Schatten/noch von der schönen Ordnung/noch von der Bewegung des Gemüthes/welches alles der verständige Mahler/meisterlich zu Werck zu bringen/wissen soll: sondern allein handeln von der kunstständigen Stellung/dem Ebenmaß und den gehörigen Umbriß eines Bildes/welches gleichsam das a/b/c kan genennet werden/und wann man solcher Buchstaben versichert ist/muss man alsdann die Sylaben und Wörter zusammen sezen lernen; wie hier/wenn man die Augen/Nasen/Ohren/Mund zeichnen kan/ist alsdann leicht ein wolgebildtes Angesicht und nachgehends von den Armen/Händen und Füssen/einen gantzen Leib aufzureissen und zu entwerffen; massen solches alles die beliebte Ubung erfreulichst lehren wird.
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Ob nun wohl nicht anzulaugnen/daß diese Meynung ganz richtig und unwidersprechlich seye; so muß man doch darbey gestaändig seyn/daß nicht eines jeden Gelegenheit ist/die Geometriam und artem Opticam ex fundamento zu studieren/daß viel treffliche Mahler/ohne solche/den Pinsel meisterlich geführet/in dem nemlich die vielfältige übung/das circkelmas so wol/als die Lehrgesetze zu Gesicht und in das scharffsichtige Urtheil bringen mag. Viel werden auch durch solche Weg abgeschreckt/daß sie die Gedult verlieren/und mit den langweiligen Linien nichts zu schaffen haben wollen.
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{Zwischen mahlen und wol-mahlen ist großer Unterschied.} Es ist/ zwischen dem mahlen und wolmahlen/ ein großer Unterschied/ gehört viel Mühe darzu/ diesen letzern Berg zu ersteigen: und sind die/ so aus Ungeschicklichkeit dahinten bleiben/ wie die Mucken/ welche das Liecht verlangen/ aber darinn ihre Flügel verbrennen/ auch Zeit und Unkosten verlieren. {Die Natur fähigt nicht alle zu allem.} Wann die Mutter Natur dem Jüngling nicht ihre Milch einflößet und ihn mit Verstand begabet/ so ist/ auch mit unendlicherArbeitsamkeit/ wenig zu schaffen.Die Natur machet nicht jeden Menschen zu allem/ sondern gemeinlich nur zu einer Sache/ recht tüchtig. Darum sollen vernünftige Eltern fleissig aufmerken/ um nicht zeit und Geld zu verspielen/ ob die Natur und Verstand der Kinder zu dieser Kunst/ mit nötigem Geist/ inclinire/ welches sich bald vermerken lässet. Wann/ mit Zunehmung der Jahre/ auch die Anmutung hierzu mit der Ubung erwächset/ alsdann hat man die Hoffnung zu machen/ daß sie zum Zweck hierinn gelangen mögen.
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6. [ndr: Regel] Wer der Ubung dieser Studien nicht beygewohnt/ oder den Mahlern zugesehen/ noch auch den jenigen/ so da von lehren und reden/ fleißig und oftmals zugehöret/ sondern allein darum für einen genug-erfahrnen Künstler sich austhut/ weil er viel gelesen hat/ der ist nicht allein sehr unweis/ sondern er betrieget nur sich selber.
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Wer demnach Menschen und Pferde in zierlicher Positur wird setzen können/ demselben werden auch andere Dinge zu mahlen nicht sonderlich schwer fallen ; Anfänglich kann man sich an denen von Gips oder Wachs gemachten Statuen oder Bildnissen üben; so dann zu denen natürlichen Körpern schreiten; Deß Schattens wegen insbesonderheit das Tage-Licht in Acht nehmen/die Schatten-Züge müssen aber nicht kritzlich noch mager/sondern breit und etwas fett gemachet werden. Doch aber soll man die Vertieffung nicht zu hart machen/wiewohl/ie mehr die Dinge ans Licht gestellet werden/ie stärcker sich auch die Schatten erzeigen/wie dieses alles die Übung und gutes Nachsinnen/einem jedem an die Hand gegeben werden.
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ES ist Welt-kündig/ und von allen Gelehrten also erkannt worden/daß/ wenn man gewillt ist/ ein vollkommenes Studium vor die Hand zu nehmen/ und darinne die Mittelmässigkeit zu überschreiten/ der Anfang/ um alles desto besser zu ergründen/ bey der Theoria
{Der wahre Weg um zu der Mahler-Kunst Vollkommenheit zu gelangen.} (oder Beschauligkeit und Lehr-Betrachtung) gemacht werden solle: damit/ vermittels derselben/ zu allen Regeln uns das Auge eröffnet/ und ein vollkommener Grund gelegt werde. Sintemal alßdann erst/ durch einen beständigen Fleiß/ die wahre Vollkommenheit zu hoffen ist. Eben diese Gelegenheit hat es auch/ mit der edlen Mahler-Kunst/ so wol/ als allen anderen dergleichen tieffsinnigen Geschäfften. Da hingegen/ sehr selten etwas Besonders zu hoffen/ von denen/ welche die Lehrsatz- und die Theoriam, aus Ungedult/ oder Trägkeit/ vorbey gehen/ und nur/ durch einen einfältigen Gebrauch/ oder flüchtige Practic, auf die {Treue Warnung wider den bösen Irrweg.} Kunst blind und unbedachtsam zuplatzen. Welcher verderblicher Irrweg/ sonderlich bey uns Teutschen/ viel mehr/ als einiger andern Nation/ bewandlet wird. Diesem nach habe ich eine hohe Nothdurfft erachtet/ alle solche Irrende/ wieder zuruck zuruffen/ vermittels kurtzer/ doch treuer Anweisung des nächsten Weges/ und gründlicher Bedeutung/ wie man zuvorderst/ durch die theoretische Lehr-Fassung/ zu der Ubung tretten müsse; und wann solche Ubung mit dem unermütedem Fleiß vermählet wird/ als denn endlich/ zu der Vollkommenheit der edlen Mahler-Kunst ohnzweiflich gelangen könne. Allermassen ich/ allen dieser edlen Kunst Wolgönnern/ Liebhabern/ und Beflissenen/ zu vermeintem Gefallen/ wie auch der ruhmwürdigen Kunst selbsten zu Ehren/ und grösserem Flor/ mich entschlossen/ einen ordentlichen Aufsatz zu machen; auch zu diesem/ in unserm ersten Buch der Teutschen Academie/ bereits den Anfang gemacht habe.
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{An den nackenden Bilderen sol man anfangen/ erstlich nach Kupferstichen/ Handrissen und stilstehenden Bildern. Hernacher zu den lebendigen Dingen/ auch der Academie schreiten.}
Gleichwie einer nun/ durch die Academische Ubung/ die Wolerfahrenheit hierinne suchen muß: also wird hierzu sonderlich erfordert daß man alle Stellungen/ Maß/ und Ordnung eines gerechten Bildes erfahre/ auch das grosse und mittelere Liecht/ samt dem Schatten und Wiederschein/ vernünfftig ergreiffe: Als vermittelst dessen sich der Verstand mehret; Denn auf solche Weise stellet allein ein wahrer Progreß zu hoffen. Wobey doch gleichwol auch die Erkänntnüs der Zergliederungs- (oder Anatomie.) Kunst/ Wohnung und Form/ der Mäuse (oder Musculen) Maß und Gestalt des Gebeins/ oder Sceletons/ mit in Betrachtung kommt. Solcher Gestalt muß der Verstand immer mit im Spiel seyn/ um alle vor Augen kommende natürliche Dinge wol zu überlegen/ und zu beurtheilen: Damit man sich hernach/ zu selbsteigener Invention/ beqvem machen könne. Gestaltsam dieses ohngezweiffelt der rechte Weg ist
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Wie hievon etwas weitläufftiger/ in unserm ersten Buch/ Meldung geschehen. Solchem allen/ soll man stetig nachsinnen/ durch tägliche Fortsetzung in unser Kunst Ubung. Zu diesem Ende hat die Natur uns Menschen zwey vortreffliche Instrumente gegeben/ nemlich/ die Hände dem Leibe/ und die Gedächtnus dem Verstande; vermittelst dessen/ alles zu wegen gebracht werden kan.
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Rede bey Stellung des Modells, p. 17
So viel habe ich von denen zwey ersten Theilen meines Vortrages zu melden vor nöthig erachtet/ nemlich :
1. Was sein Jüngling vorhero bereits wissen müsse/ wann er den Anfang machen wolle/ mit Nutzen nach dem modell zu Zeichnen.
2. Was er im Zeichnen nach dem Modell beobachten Müsse.
Nun solte ich noch den Dritten Theil vortragen/ nemlich : Was vor Nutzen ein Jüngling aus dem Nachzeichnen des lebendigen Modells ihme schaffen/ und wie er dermahleins die verfertigten Academie, und Zeichnungen: in seinem Wercken anbringen könne: Allein dieser Dritte Theil ist weitläufftiger weder die Zwey vorgesagte so wir itzt miteinander abgehandelt haben/ auch ist die gegenwärtige zum Zeichner bestimbte Zeit zimlich verflossen/ wannenhero ich solches biß zu einer andern Gelegenheit verspare/ und vor dieses mahl keine angenehmere Belohnung meiner Unterrichtung verlange/ als daß das Gelehrete von Euch Lehrbegierigen Jünglingen in die Ubung mögen gebracht werden.
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Man wird in der Praxi eine merckliche Erleichterung, und durch öfters wiederholte Uebung endlich eine solche Fertigkeit im Nachzeichnen spüren, daß man alle vorkommende Zeichnungen geschwind und schicklich wird herzustellen wissen, ohne auf die zum Grund gelegt Reguln oder auf die Theorie ferners zu gedenken.