Diese beyde Manieren/ habe ich/ der Kunstliebenden Jugend zu gefallen/ also Exempel-weis erzehlen wollen: damit sie ihnen hievon/ nach ihrem Geist und Verlangen/ die angenehmste erwehlen können. Mein Raht aber ist/ daß man sich zu der ersten saubern Manier gewöhne weil/ mit zuwachsenden Jahren und Alter/ aus Mangel des Gesichts/ die Rauhigkeit ohne das selber sich nach und nach einfindet.
{Zwischen mahlen und wol-mahlen ist großer Unterschied.} Es ist/ zwischen dem mahlen und wolmahlen/ ein großer Unterschied/ gehört viel Mühe darzu/ diesen letzern Berg zu ersteigen: und sind die/ so aus Ungeschicklichkeit dahinten bleiben/ wie die Mucken/ welche das Liecht verlangen/ aber darinn ihre Flügel verbrennen/ auch Zeit und Unkosten verlieren. {Die Natur fähigt nicht alle zu allem.} Wann die Mutter Natur dem Jüngling nicht ihre Milch einflößet und ihn mit Verstand begabet/ so ist/ auch mit unendlicherArbeitsamkeit/ wenig zu schaffen.Die Natur machet nicht jeden Menschen zu allem/ sondern gemeinlich nur zu einer Sache/ recht tüchtig. Darum sollen vernünftige Eltern fleissig aufmerken/ um nicht zeit und Geld zu verspielen/ ob die Natur und Verstand der Kinder zu dieser Kunst/ mit nötigem Geist/ inclinire/ welches sich bald vermerken lässet. Wann/ mit Zunehmung der Jahre/ auch die Anmutung hierzu mit der Ubung erwächset/ alsdann hat man die Hoffnung zu machen/ daß sie zum Zweck hierinn gelangen mögen.
{Die Mahlerey-Lehrlinge sollen/ über den Bildern ermüdet/ ihre Erfrischung suchen} WAnn der junge Mahler/ durch langes sitzen über den Bildereyen/ starsichtig und / müde worden/ so sollen sie davon etwas aussetzen/ und das Gemüte wieder erfrischen: weil auch ein starker Bogen/ wann er stäts gespannet ist/ zu zerspringen pfleget. Demnach/ wann er von weitem sihet/ daß Hesperus dem Träume-Vatter Morpheo den schwarzen Mantel umleget/ kan er seine Augen zur Stunde mit Lethes naß besprengen/ und sein Abendmal in den Blumen Reichen des kurz nächtigen Sommers mäßiglich einnehmen: damit er/ nach sanftem Schlaf/ bey aufgehender Morgenröte/ sich frisch und aufgeraumt befinde. {in Beschauung der Länderey} Alsdann wann er die Vögel in der Luft den Morgen ansingen höret/: soll er mit einem oder mehr kunstliebenden Gefärten/ bey Eröffnung der Stadt-Thore/ sich ausmachen/ in den Schauplatz der Natur spaziren und/ zu Erleuchtung des Geistes/ seine Augen in den Feldern/ Bäumen und Bächlein/ in Bergen und Thälern/ in den Wiesen und Auen/ weiden und zur Lehre senden.{daraus sie lernen/ Landschaften nachmahlen.}Alda nun wird er finden viel schöne Vorstellungen/ sich daraus zu künstlicher Ausbildung der Landschaften zu unterrichten.[…]
{LVIII. Pour le jeune Peintre.} […] Que celuy qui commence ne se haste pas tant d'étudier d'après Nature tout ce qu'il fera, qu'auparavant il ne sçache les Proportions, l'Attachement des Parties, & leurs Contours ; qu'il n'aye bien examiné les excellens Originaux, & qu'il ne soit instruit des douces Tromperies de l'Art, qu'il aura apprises d'un sçavant Maistre plûtost par la Pratique & en le voyant faire, qu'en l'écoutant seulement parler.
Die Zeichnung soll und mus mit sonderbarer Vernunft/ rarer invention, abtheilung und stellung/ als an welcher allermeist gelegen/ gemacht seyn: damit alle Theile/ zu vergnügung eines vernünftigen Auges/ wol übereinstimmen/ und nicht hier alles/ dort wenig oder gar nichts/ ohne Urtheil oder Verstand/ herfür komme. Solche schöne Ordnung oder häßliche Unordnung/ entspringet von wol- oder übel-gefasster Zeichen-Kunst/ entweder nach denen gehabten Modellen/ oder nach den vorgenommenen lebendigen Bildnusen: und kan die Zeichen-Kunst keinen guten Anfang haben/ wann sich der Scholar nicht eifrig beflissen/ natürliche und lebhafte Dinge abzuzeichnen/ und nach gut-gemahlten Stucken von belobten Meistern/ oder nach antichen Statuen und erhobnen Bildern/ wie schon oft gesagt worden/ zu formiren.